Die Sage vom HerrGottSack
Posted in blugunkels storyride on Dezember 19th, 2015blugunkel/ shortstory: die Sage vom HerrGottSack/ copyright blugunkel Dezember 2015/
In einem dunklen Wald, weitab von der Strasse, stand ein uraltes, von wilden Ranken umwuchertes Haus. Seine Wände bestanden aus rohbehauenen Balken, das Giebeldach aus Schiefer und es wurde von seinem Kamin weit überragt. Das Haus hatte nicht viele Ecken, Nischen und Winkel, sondern man trat durch die Tür in einen einzigen Raum. Die Bewohner lebten, schliefen und assen im selben Zimmer. Der Reichtum dieser einfachen Behausung bestand darum nicht aus den vielen Möglichkeiten für den Einzelnen. Das grossartige am Leben zu dieser Zeit waren die gemeinsamen Abende nach getaner Arbeit. Wenn der Wind durch die Bäume rauschte und der Regen auf das Dach prasselte, gab es nichts Schöneres, als sich um die Feuerstelle zu versammeln und einer Erzählung zu lauschen. Von einer dieser Überlieferungen handelt die folgende Sage. Die Sage vom Herr Gott Sack.
Es war einmal ein König… Er sass auf dem Thron einer mächtigen Burg. Sein Volk lebte in Frieden, denn seine Herrschaft war gerecht. Regelmässig sandte er eine ausgewählte Truppe edler Ritter durch das Land, um sein Ansinnen durchzusetzen. Schon seit einiger Zeit hatte die frohe Botschaft von Jesus Christus die heidnischen Bräuche verdrängt. So war dem König sehr daran gelegen, dass den Menschen in seinem Reich wohl war, dass sie arbeiten und in Frieden leben konnten. Von den verschiedenen Festen, die zu Ehren des neuen Glaubens gehalten wurden, war dem König das Weihnachtsfest das wichtigste. Das Bild des wehrlosen Kindleins in einer Krippe hatte den Edelmut des Herrschers geweckt und sich tief in sein Herz eingeprägt.
Nun hatte sich der Sommer geneigt, der Herbst die ersten Wiesen mit Frost bedeckt und erste Schneeflocken kündeten von der baldigen Ankunft des Winters. Eine ganze Schar Bediensteter arbeitete beinahe ohne Pause, um die Burg festlich herzurichten. Mehrere Tage würden die Feierlichkeiten zu Ehren des Erlösers dauern und es war damals der Brauch, den geladenen Gästen nicht nur ein Fest zu bereiten, sondern auch eine Unterkunft zu bieten.
Als es dann endlich Zeit wurde Tür und Tor zu öffnen, wurde dem König von den Herolden eine Unglücksbotschaft überbracht. Unter einem fremden Banner sei ein Heer von Osten in das Land eingefallen und hätte in dieser heiligen Zeit in seinem Volk Angst und Schrecken verbreitet. Der König, zwar an Jahren schon betagt, an Rat aber immer noch weise, zog sich, bedrängt eine Entscheidung zu finden, zum Gebet in sein Gemach zurück. Wenn er jetzt alle Kräfte sammelte um ein Heer aufzustellen, so dachte der König, musste das Fest absagt werden. Niemand würde mehr hier sein und von ihm würde erwartet werden, selber an der Front zu erscheinen. In dieser speziellen Stunde der Not war ihm, als höre er einen Engel sprechen. Und in seinem Herzen begann sich eine Idee zu formen. Noch am selben Tage schickte der König eine Gesandtschaft in das Lager des Gegners. Von nun an harrte er gespannt der kommenden Dinge: Würden aber die kriegerischen Eindringlinge auf das Ansinnen des Königs eingehen?
Es war heilig Abend geworden und das Volk versammelte sich nach und nach in der weiten Halle. Knisternde Flammen spendeten Wärme und vertrieben die Dunkelheit. Unter der Leitung des Hofbarden führten Spielleute die Weihnachtsgeschichte auf und unterhielten die geladenen Gäste mit alten Weisen und geistlichen Liedern. Voll von leckeren Speisen waren die Tafeln und die Bediensteten kredenzten eine Köstlichkeit nach der andern. Die Stimmung war froh und ausgelassen wie es sich für das Ankunftsfest des Erlösers aller Menschen gehörte. Noch nichts hatte der König von dem drohenden Unheil verlauten lassen. Alles war wie immer, ausser dass die Sicht zum Thron durch ein von der Decke hängendes Tuch versperrt war. Da und dort wurde natürlich gewitzelt, welche Überrasschung wohl der König dort verborgen hielt. Dann endlich las ein Herold mit weittragender Stimme die Weihnachtsgeschichte nach dem Evangelisten Lukas vor, als plötzlich das Laute „Tock Tock“ eines Speeres auf dem Holzboden die Stille durchbrach. Ächzend in ihren Angeln schwangen die schweren Torflügel auf und dreckbespritzt von der Fahrt traten fünf gepanzerte Ritter, den Helm unter dem Arm, in die Halle. Bei ihrem Anblick erhellte sich das Angesicht des Königs, denn es war die erwartete Gesandtschaft des feindlichen Heeres. Er gab Anweisung sie zu versorgen und die Spielleute griffen wieder nach ihren Fideln. Dann beendete der Herold seine Vorlesung und der König erhob sich und schritt würdevoll durch die Halle. Er stellte sich direkt vor den verdeckten Thron und aller Augen richteten sich nun auf ihren Regenten. Die Gesandtschaft hatte sich erhoben, denn sie spürten, dass nun der Herrscher dieses Landes ihre Anwesenheit dem Volk erklären würde.
„Geschätzte Edle, Ritter, Freie und natürlich auch Bauern“, begann er, „ wie alle Jahre sind wir hier versammelt, um die Geburt unseres Erlösers gebührend zu feiern. Wir tafeln, sind fröhlich und hoffentlich auch besinnlich. Denn vor langer Zeit lag der Herr Jesus ungeschützt als Kindlein in einer Krippe. Bedürftig und schwach war es auf die Hilfe von Maria und Josef angewiesen.“ Und der König fuhr fort, die Bedeutung des wichtigen Christenfestes zu erläutern. So gab er den Feierlichkeiten die nötige Tiefe.
„Und nun zu euch!“ Die fünf gewappneten begannen unruhig zu werden. „ Ich habe euch an meinen Hof gerufen und will euch auffordern, sich entweder für Krieg, den ihr ja ohnehin in mein Land getragen habt, oder für Frieden, den ich euch hoffentlich zeigen kann, zu entscheiden.“ Und so erläuterte er nun auch seinen nunmehr verwirrten Untertanen, dass ein feindliches Heer sein Land bedrohe. Bevor eine grössere Unruhe ausbrechen konnte, drehte sich der König um und rief:
„ Und nun, ihr Anwesenden alle, und ihr kriegerischen Ritter, schaut, seht und staunt, was unser friedliebender Herr im Himmel imstande ist zu tun!“ Auf sein Zeichen senkte sich das riesige Tuch und gab den Blick auf den Thron frei. Zum Vorschein kam, oben zusammengebunden, ein übergrosser Sack, der den Herrschersessel umfasste. Vor den verwunderten Augen der Anwesenden stieg nun der König die Stufen empor und hiess die fünf Ritter vortreten.
Mit lauter Stimme sprach der König:
„Was ich habe gebe ich frank und frei
riskiert einen Blick, oh kommt herbei,
nehmt Frieden oder zieht von dannen,
Krieg zu führen, den Menschen ersannen!“
Die Krieger, gekommen um für ihren Herrn zu fordern, standen nun voll Furcht vor diesem riesigen Sack, der an der Vorderseite eine Öffnung aufwies. „ Wenn ihr euch nun getraut, so kommt und seht was euren Augen noch verborgen ist“, sprach der König. Und nacheinander traten die Fünf festen Schrittes heran. Jeder steckte den Kopf durch die Öffnung, verharrte ein paar Sekunden und trat dann mit seltsam verklärtem Blick zurück. Schliesslich packten sie den beiseite gelegten Helm und schritten schnurstracks durch das Tor in die dunkle Nacht hinaus. Befriedigt nickte der König und lächelte, die erste Schlacht war geschlagen. Denn dies war die Weisung, die der König von dem Engel empfangen hatte: In einem Sack verborgen solle er eine Mutter und ihr Kind auf den Thron setzen. Das Verborgene zu schauen sei ein Wunsch in jedem Menschen. Und ein lebendiges Bild auf dem Thron würde verschütteten ritterlichen Edelmut wecken. So war es geschehen und der König musste denn auch nicht lange auf eine Antwort warten. In grossem Gefolge, aber mit friedlichen Absichten, ritten die Anführer der Eindringlinge bald durch die Tore der Burg. Der HerrGott hatte durch die Tat des Königs eindrücklich seine Macht, Unheil abzuwenden, bewiesen. Gross war die Freude und der König rief zu einem zweiten Fest. Und bald hatte sich am Hof eine neue Redewendung verbreitet: “Gib acht auf deine Taten. Sonst musst du den Kopf in den HerrGottSack stecken.“ Auf lange Zeit erinnerten sich das Volk und die Edlen durch dieses Sprichwort an die Weise Tat ihres Regenten. Wie aber alles mal eine Wendung haben muss – ob zum Guten oder zum Bösen – so nagte der Zahn der Zeit an besagter Redewendung und schmälerte den Sinn der Worte. Menschen, die den Inhalt der Geschichte nicht mehr richtig kannten, bedienten sich gedankenlos daran und bald hatte man die friedenbringende Tat dahinter vergessen. Die Wendung, der „HerrGottSack“ bekam eine verwünschende Note. Dies ist aber eine andere Geschichte und wir wollen es bei der guten belassen, die in jenem alten Haus im dunklen Wald erzählt worden war.
jh
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